Alkohol im ersten Weltkrieg

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Die Erfahrung der deutschen Armee mit Alkohol während des ersten Weltkrieges war vielfältiger als die der Alliierten an der Westfront. Das war teilweise eine Konsequenz des Regionalismus des deutschen Reiches und seiner Armee. Da beispielsweise in Bayern Bier beliebter war, als in Preußen oder im Rheinland, erhielten die bayrischen Soldaten häufig Bier als Teil ihrer täglichen Ration, während unter den Soldaten im Rheinland und in Preußen eher Schnaps oder Wein verbreitet waren. Diese Verteilung war typisch für den Alkoholkonsum in der Gesellschaft dieser Zeit.[1] Die deutsche Heimatfront hatte zudem mit Lebensmittelrationierung infolge der britischen Seeblockade zu kämpfen. Die Seeblockade hemmte die Alkoholindustrie, weil Zutaten wie Kartoffeln, Gerste und Zucker für die Lebensmittelproduktion gebraucht wurden. Diese Rationierung erreichte schließlich auch die Schützengraben. Die Kaiserzeit ist eng mit dem ersten Weltkrieg verbunden und obwohl dieser Teil mehr als nur den Bierkonsum beschreibt, bildet er daher einen wichtigen Teilbereich dieser Rubrik.

Soldaten mit Bierkrügen Ludwig Schmitt geb. 23.03.1893 in Zell am Ebersberg, gestorben 13.06.1918 im Garnisonslazarett Bamberg. Er müsste der zweite von links sein. CC-BY-SA 3.0, http://www.europeana1914-1918.eu/en/contributions/1269
Soldaten mit Bierkrügen
Ludwig Schmitt geb. 23.03.1893 in Zell am Ebersberg, gestorben 13.06.1918 im Garnisonslazarett Bamberg. Er müsste der zweite von links sein. Rechte: CC-BY-SA 3.0, http://www.europeana1914-1918.eu/en/contributions/1269

Als die deutsche Armee im August 1914 in Belgien und Frankreich einfiel, profitierten viele Soldaten von den Möglichkeiten, die ihnen diese neu eroberten Gebiete boten. Die Disziplin vieler Einheiten war schlecht. Der Bäcker Hermann Baumann, Mitglied der Reservebäckerkolonne Nr. 9 des VII. Reserve-Korps, beschrieb wie seine Einheit ein „leeres Hause” am 4. September 1914 entdeckte. Im Keller des Hauses befanden sich 500 Flaschen Wein. Die Hälfte seiner Einheit betrank sich und vier Männer— darunter auch Baumann—nahmen 30 Flaschen auf den weiteren Vormarsch nach Paris mit.[2] Dies war nur deswegen möglich, weil die deutschen Versorgungsladungen von Pferden gezogen wurden und daher von der Infanterie nicht selbst mitgeführt werden mussten. Am 8. September, entdeckte Baumanns Einheit einen Keller mit 15.000 Litern Wein. Später berichtete er über die Entdeckung eines anderen Weinkellers. Seine Kameraden probierten verschiedene Weinfässer aus, bis sie „etwas gutes“ fanden. Während der Suche und der nachfolgenden Festlichkeit zerstörten er und seine Kameraden eine Menge Weinfässer. Er berichtet: „…wir waten buchstäblich mit den Füßen 20 cm im Wein. Die Stiefel sind rot von dem Gerbstoff.“[3]

Mit der deutschen Niederlage in der Schlacht an der Marne fand Baumanns berauschendes Abenteuer ein plötzliches Ende. Am 26. Oktober 1914 berichtete Baumann seine Einheit habe im Durchschnitt ¼ Liter Cognac für zehn Mann erhalten und dies sei das erste Mal seit 6 Wochen gewesen, dass er Alkohol getrunken hätte.[4]

„Offiziere der Landwehr - Fußartillerie bei Kaffee, Bier und Wein.“ Quelle: http://www.europeana1914-1918.eu/en/contributions/4168
„Offiziere der Landwehr – Fußartillerie bei Kaffee, Bier und Wein.“
Rechte: CC-BY-SA 3.0, http://www.europeana1914-1918.eu/en/contributions/4168

Baumanns Rauschorgie war nicht die typische Erfahrung eines Frontsoldaten. Die durchschnittliche Alkoholration (vor einen Angriff war die Ration unter Umständen deutlich höher) war ein halber Liter Bier, 0,25 Liter Wein oder 125ml Branntwein pro Soldat.[5] In deutschen Berichten aus den Schützengraben tauchen Schnaps und Wein öfter auf, als Bier. Der Künstler und Maschinengewehrschütze Otto Dix beschrieb seine Kriegserfahrung: „Flöhe, Granaten, Bomben, Höhlen, Leichen, Blut, Schnaps, Mäuse, Katzen, Gase, Kanonen, Dreck, Kugeln, Mörser, Feuer, Stahl, das ist der Krieg. Alles Teufelswerk.“[6] Der Schriftsteller Arnold Zweig behauptete, dass es möglich war, einen Krieg zu führen, „…ohne Frauen, ohne Munition, sogar ohne Stellungen, aber nicht ohne Tabak und schon gar nicht ohne Alkohol.“[7]

Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues schilderte den Konsum von Alkohol in den Schützengräben. Zumeist erzählt der Roman davon, wie Paul Bäumer und seine Kameraden Bier tranken, nicht aber Wein oder Schnaps. Häufig sieht man, wie die Soldaten ihren Urlaub nur ein paar Kilometer hinter der Front. Ein gutes Beispiel ist diese Szene in einer Kantine:

„Über unsern Köpfen schwebt dicker Qualm. Was wäre der Soldat ohne Tabak! Die Kantine ist eine Zuflucht, Bier ist mehr als ein Getränk, es ist ein Zeichen, dass man gefahrlos die Glieder dehnen und recken darf. Wir tun es auch ordentlich, die Beine haben wir lang von uns gestreckt, und wir spucken gemütlich in die Gegend, dass es nur so eine Art hat. Wie einem das alles vorkommt, wenn man morgen abreist!“[8]

Galizien 1916, Oberarzt und Geschützbedienung vor ihrer Hütte bei Wein und Grammophonmusik.
Galizien 1916, Oberarzt und Geschützbedienung vor ihrer Hütte bei Wein und Grammophonmusik. Rechte: CC-BY-SA 3.0, http://www.europeana1914-1918.eu/en/contributions/4168

Andere Schriftsteller berichteten dass in den Schützengraben Alkohol weit verbreitet war. Ernst Jüngers Tagebuch fängt mit einem Empfang von Curacao für Silvester 1915 an.[9] In “In Stahlgewittern“, einer Zusammenfassung seines Tagebuches, die er nach dem Krieg verfasste, berichtete Jünger davon, dass er Schnaps, Bier und Wein erhielt. Im ersten Teil seines Buches taucht das Wort Bier häufiger als im letzten Teil auf. Das ist typisch für die Situation in den letzten Kriegsjahren, als Bier seltener zugeteilt wurde, weil die Zutaten an der Heimatfront zur Lebensmittelproduktion gebraucht wurden. Er beschrieb seine Vorbereitungen auf die verhängnisvolle Frühjahrsoffensive 1918 als eine letzte Chance, sich zu betrinken: „Ging auch in der Begeisterung der letzte Taler für Wein drauf, was brauchten wir noch Geld jenseits der feindlichen Linien oder gar im besseren Jenseits?“[10]

In Stahlgewittern ist auch deswegen bemerkenswert, weil Jünger die Kampferfahrung als “Rausch” schildert. Seine Schilderung vom Kampf als Rausch ist ein Beispiel für Jüngers Versuch, den „Zorn des Achilleus” wie in der Ilias darzustellen – nämlich auch als Rausch. In diesem Punkt aber hob sich Jüngers Schilderung von denen anderer Schriftsteller ab, die ebenfalls über den Krieg schrieben. Jüngers besondere Beziehung zu der Thematik „Krieg und Rausch“ dauerte auch im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts an. So schrieb er zum Beispiel Bücher über seine Erfahrungen im 2. Weltkrieg und mit LSD.

„Gerste, Kartoffeln, Zucker oder Bier, Schnaps, Wein?“ – die Titelseite einer 1916 Broschüre des Deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke. Der Verein argumentierte, dass Alkoholproduktion die Lebensmittelversorgung einschränken würde, weil Deutschland wegen der Blockade einsparen müsste.

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Quelle: http://www.europeana1914-1918.eu/en/europeana/record/9200231/BibliographicResource_2000092035848

Im weiteren Verlauf des Krieges führte die britische Blockade Deutschlands zu einer Lebensmittelknappheit unter der Zivilbevölkerung. Lebensmittel wurden knapp und Rohstoffe wie Kartoffeln, Gerste und Zucker waren für die Produktion alkoholischer Getränke unentbehrlich. In dieser Broschüre wird dargestellt, dass das Bierbrauen beschränkt werden musste, um Lebensmittel wie Gerste für Frauen und Kinder bereitstellen zu können. Der Verein trat für ein generelles Alkoholverbot für die Zivilbevölkerung ein. Spirituosen wie Branntwein sollten „nur für technische und gewerbliche Zwecke und die für den Heeresbedarf als Heilmittel notwendigen Trinkbranntweinmengen“ verwendet werden.[11] Die Blockade dauerte bis Frühling 1919 an, wodurch sich die Hungerkrise und die Lebensmittelknappheit verlängerten.

Die Ernährungs-und Lebensmittelkrisen beeinträchtigten auch die Frontsoldaten – und zwar besonders im Jahr 1918. Während der Frühlingsoffensive 1918 mangelte es den deutschen Truppen massiv an Vorräten. Obwohl die Frühjahrsoffensive einen anfänglichen Durchbruch verzeichnete, kam der Angriff bald zum Erliegen. Die deutschen Truppen eroberten alliierte Versorgungslager und machte eine lange Pause, um Lebensmittel (die in Deutschland knapp waren) zu konsumieren. Die Truppen entdeckten—genau wie im Jahr 1914—Weinvorräte und begannen zu feiern. Diese letzte Verschnaufpause für die deutsche Armee war aber bald beendet, als die Soldaten ihren Vormarsch einfach unterbrachen.

Als der Krieg zu Ende war und sich die deutsche Gesellschaft der 1920er – Jahre konstituierte, begann eine neue Ära des Rauschmittelkonsums. Während dieser Periode wurden Cocktails, der Jazz sowie der illegale Untergrundhandel mit Rauschgift und anderen Drogen beliebt und die Republik begann damit, „auf dem Vulkan zu tanzen“.

Humoristisches Marschlied: „Wie ist bayrisch Bier so gut.“ Quelle: http://www.zum.de/psm/1wk/karten4.php
Humoristisches Marschlied: „Wie ist bayrisch Bier so gut.“
Quelle: http://www.zum.de/psm/1wk/karten4.php

Anmerkungen

[1] Siehe http://www.welt.de/geschichte/article112767350/1913-das-friedliche-Jahr-vor-dem-grossen-Krieg.html für ein bisschen über Bierkonsum in Berlin im Jahr 1913. „Durchschnittlich trinkt jeder Berliner Spirituosen mit einem Gehalt von 5,4 Liter reinem Alkohol. Der Bierverbrauch ist in Berlin nur etwa halb so hoch wie in Bayern.“

[2] Hermann Heinrich Baumann: Hermann Heinrich Baumann als Bäcker an der Westfront. Transkribiertes Kriegstagebuch. 1914-1916. http://europeana1914-1918.eu/en/contributions/11783 Seite 6.

[3] Baumann: Hermann Heinrich Baumann als Bäcker an der Westfront http://europeana1914-1918.eu/en/contributions/11783 Seite 7.

[4] Baumann: Hermann Heinrich Baumann als Bäcker an der Westfront http://europeana1914-1918.eu/en/contributions/11783 Seite 10.

[5] Gary D. Sheffield: War on the Western Front. Oxford: Osprey Publishing 2007. S. 42

[6] Zit. Eva Karcher: Otto Dix 1891-1969. Köln: Taschen 2002. S. 38.

[7] Arnold Zweig: Erziehung vor Verdun. Amsterdam: Querido Verlag 1935. S. 196.

[8] Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. London: Routledge 1984. S. 133.

[9] Ernst Jünger: Kriegstagebuch 1914-1918. Hrsg. von Helmuth Kiesel. Stuttgart: Klett-Cotta 2010. S. 7.

[10] Ernst Jünger: In Stahlgewittern. Berlin: E.S. Mittler & Sohn 1922. http://www.gutenberg.org/files/34099/34099-h/34099-h.htm Siehe Kapitel„Am Cojeul-Bach.“

[11] Deutscher Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke: Gerste, Kartoffeln, Zucker oder Bier, Schnaps, Wein? Berlin W.15, 1916 Nr. 11/12 vom Nov./Dez. http://www.europeana1914-1918.eu/en/europeana/record/9200231/BibliographicResource_2000092035848#prettyPhoto S. 23-24.

 

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