Die Kommune 1 – Der Traum von einer neuen Gesellschaft

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Über die Rolle der K1 in der 68er Bewegung streitet die Wissenschaft bis heute. Doch neben dem politischen Stellenwert der Gruppe, steht ebenso der Mythos um sexuelle Ausschweifungen und Drogenkonsum im Mittelpunkt des Interesses. Was ist dran an diesen Mythen?

Die 1960er Jahre mit ihrem Höhepunkt in der linken Studentenbewegung 1968 stehen in der Geschichte der Bundesrepublik für eine Zeit der Veränderung und des gesellschaftlichen Wandels. Es ist eine Zeit der Auflehnung der Nachkriegsgeborenen gegen die Strukturen der Adenauer-Ära und die Elterngeneration. Der Protest richtet sich dabei nicht nur gegen die Politik der westdeutschen Regierung und ihrer Verbündeten, er betrifft auch die grundlegenden gesellschaftlichen Konventionen, wie beispielsweise die Art und Weise des Zusammenlebens. Ein Beispiel hierfür ist die Gründung der Kommune 1 (K1) im Januar 1967 in West-Berlin. „Wir hatten diesen schönen Traum geträumt, dass wir auf unseren 110 Quadratmetern Altbauwohnung eine ganz andere Gesellschaft gründen könnten“ berichtet Gründungsmitglied Ulrich Enzensberger.[1] Die Ziele des Kommunenlebens formuliert er folgendermaßen: „Wir erwarteten uns von der Aufhebung familiärer Bindungen, herkömmlicher Moralvorstellungen und ausschließlicher Liebesverhältnisse nicht nur Lustgefühle, aber wir wollten trotzdem versuchen, den gesellschaftlichen Verhältnissen in der BRD eine lebendige Alternative entgegenzusetzen.“[2] Eine Alternative zur bürgerlichen Kleinfamilie soll dadurch entstehen, in der Besitzansprüche, das Prinzip der Ehe und Privatsphäre abgelehnt werden. „Am Anfang stand der Gedanke der Revolutionierung des Privatleben[s]“, erzählt rückblickend K1-Gründer Dieter Kunzelmann, der auch für seinen Ausspruch: „Was geht mich Vietnam an, solange ich Orgasmusschwierigkeiten habe“, bekannt ist.[3]

Provokation und Mythos

Alleine der Umstand einer Gruppe gemischtgeschlechtlicher junger Menschen, die in einer Wohngemeinschaft zusammenleben, gilt in der damaligen Gesellschaft als Provokation.[4] Berühmt wird die K1 aber vor allem durch ihre medienwirksam inszenierten Happenings auf Demonstrationen sowie ihre provokanten Flugblätter. Auch das später in die Öffentlichkeit getragene Privatleben der Kommunarden wie Uschi Obermaier und Rainer Langhans erhöhen den Bekanntheitsgrad der Wohngemeinschaft. Bis heute ranken sich zahlreiche Mythen um die Kommune. Sexuelle Ausschweifungen, Drogenkonsum und Keimzelle des deutschen Terrorismus sind nur einige der Begriffe, die mit der K1 in Verbindung gebracht werden.

Kommunenalltag und Widersprüche

Zahlreiche Berichte ehemaliger Bewohner über den Kommunenalltag sind heute überliefert. Bereits 1967 stößt das Kommunenleben auf ein breites Interesse in der Gesellschaft. Die Kommunarden empfangen Journalisten, um über ihr Alltagsleben zu berichten. Neben der öffentlichen Aufmerksamkeit spielen auch die Honorare für Interviews, Fotos und Artikel über die K1 als wichtige Einnahmequelle der Kommune eine große Rolle. Ein Spiegel-Artikel aus dem Sommer 1967 thematisiert unter anderem den Umgang mit Sexualität in der Kommune. Das Prinzip der freien Liebe[5], das in der K1 umgesetzt werden soll, wird darin bereits als vorerst gescheitert bezeichnet.[6] Auch in späteren Berichten und Aussagen verschiedener Kommunarden wird die offene Einstellung zur Sexualität als Utopie dargestellt. „Heute ist jeder Neuköllner Swinger-Club sexuell befreiter als es die Kommune 1 je war“, schreibt der Spiegel in einem Bericht über die K1 im Jahr 2007.[7] Laut dem Journalisten Michael Ludwig Müller äußert sich das Gründungsmitglied Antje Krüger ähnlich: „Die in der Öffentlichkeit verbreiteten Ansichten über die laxe Sexualmoral der Kommunarden seien ‚reine Projektionen‘ gewesen und hätten mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun gehabt“.[8] Bezüglich des Drogenkonsums sieht Müller, der sich auch hierbei auf die Aussagen Krügers stützt, auch bei Äußerungen Ulrich Enzensbergers oder Außenstehender starke Übertreibungen. Laut Krüger solle erst in den Monaten vor der Auflösung der Kommune im November 1969 die eigentliche Drogenphase eingesetzt haben.[9] Enzensberger berichtet in seinem Buch Die Jahre der Kommune I dagegen von regelmäßigem Drogenkonsum in der Wohngemeinschaft.

Die letzten Monate

Betrachtet man die Aussagen verschiedener ehemaliger Kommunarden, lässt sich feststellen, dass die Themen Sex und Drogen wohl tatsächlich erst in den letzten Monaten des Bestehens der K1 eine übergeordnete Rolle spielen. Politische Aktionen werden seltener, wohl auch weil der ideologische Kopf der Gruppe, Dieter Kunzelmann, in dieser Zeit nicht mehr dort wohnt. Die Kommune lebt in dieser Zeit in einem alten Fabrikgebäude in der Stephanstraße in Moabit. Der ehemalige Kommunarde und spätere Terrorist Michael „Bommi“ Baumann erinnert sich an dieses „Gammellager, eine ehemalige Metzgerei: ein großer Raum, ein Tisch in der Mitte, drum herum Matratzen und […] auf denen hatte man dann ab und zu unter Decken mal Sex“.[10] Doch auch Baumann zufolge gelingt es dabei scheinbar nicht, das Prinzip der freien Liebe nach seinem eigentlichen, zwanglosen Sinn umzusetzen; denn er spricht von einem Zwangscharakter: „Die nächste Frau musste immer noch lauter stöhnen“.[11] Viele Besucher gehen in dieser Zeit in der Kommune ein und aus. Die Gründe dafür sind allerdings vermutlich eher Sex und Drogen und weniger politische Motivation. Ein Chemiestudent soll in dieser Phase die sogenannte Berliner Tinke, eine Tinktur aus Morphinbase und Essigsäure, in den Räumen der K1 zusammengerührt haben, den Vorläufer des damals in Berlin noch schwer erhältlichen Heroins.[12]

Einen tieferen Einblick in diese letzten Monate der Kommune 1 gibt die ehemalige Kommunardin Ilse Günther, die sich zu einem Interview über ihre Erfahrungen in der K1 bereit erklärte.

Weiterführende Literatur

Peter Brügge: „Lieber Fritz! Wem soll das nützen?“. Peter Brügge in der Berliner „Kommune I“, in: Der Spiegel (31/1967), 24.07.1967, S. 37-39. URL: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/46251820 (letzter Zugriff: 10.05.2015).

Inés Carrasco: Kommune I, in: planet-wissen.de, URL: http://www.planet-wissen.de/politik_geschichte/deutsche_politik/studentenbewegung/kommune_1.jsp (letzter Zugriff: 10.05.2015).

Dossier. Die 68er Bewegung, URL: http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/68er-bewegung/51759/der-weg-zu-68 (letzter Zugriff: 10.05.2015).

Ulrich Enzensberger: Die Jahre der Kommune I. Berlin 1967-1969, Köln 2004.

Norbert Frei: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest, München 2008.

Martin Klimke/Joachim Scharloth (Hg.): 1968. Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung, Stuttgart 2007.

Michael Marek: Freie Liebe für alle – Die Kommune 1, in: dw.de (07.09.2009), URL: http://www.dw.de/freie-liebe-f%C3%BCr-alle-die-kommune-1/a-4264198, letzter Zugriff: 10.05.2015.

Matthias Matussek/Philipp Oehmke: Die Tage der Kommune, in: Der Spiegel (5/2007), 29.01.2007, S. 136-152. URL: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/50344015 (letzter Zugriff: 10.05.2015).

Michael Ludwig Müller: Berlin 1968. Eine andere Perspektive, Berlin 2008.

Rainer Langhans/Christa Ritter: K1. Das Bilderbuch der Kommune, München 2008.

Anmerkungen

[1] Michael Marek: Freie Liebe für alle – Die Kommune 1, in: dw.de (07.09.2009), URL: http://www.dw.de/freie-liebe-f%C3%BCr-alle-die-kommune-1/a-4264198, letzter Zugriff: 10.05.2015.

[2] Ulrich Enzensberger: Die Jahre der Kommune I. Berlin 1967-1969, Köln 2004, S. 98.

[3] Marek: Freie Liebe für alle.

[4] Die Mitglieder der K1 erhielten daher 1967 auch eine Anzeige wegen Verdachts auf Kuppelei. Der Kuppeleiparagraph §180 StGB hatte in der Bundesrepublik noch bis 1973 bestand.

[5] Freie Liebe ist ein Konzept, das Liebe und auch Sexualität als natürliche seelische und körperliche Bedürfnisse auffasst, die frei von gesellschaftlichen Normen gelebt werden sollen. Dazu gehört, dass Beziehungen gemäß der Idee der sexuellen Selbstbestimmung ausschließlich und partnerschaftlich von den an ihnen Beteiligten definiert werden und ansonsten keinen Vorgaben unterliegen. Das bedeutet, dass die geschlechtliche Identität und die Anzahl der Beteiligten keine Rolle spielt, dass die Dauer und die Art jeder einzelnen Beziehung nicht festgesetzt und letztere zu jedem Zeitpunkt der Beziehung wandelbar ist. Herkömmliche Liebeskonzepte wie die Ehe werden als besitzergreifend, ökonomisch begründet und unfrei kritisiert (aus: wikipedia.org).

[6] Peter Brügge: „Lieber Fritz! Wem soll das nützen?“. Peter Brügge in der Berliner „Kommune I“, in: Der Spiegel (31/1967), 24.07.1967, S. 37.

[7] Matthias Matussek/Philipp Oehmke: Die Tage der Kommune, in: Der Spiegel (5/2007), 29.01.2007, S. 141.

[8] Michael Ludwig Müller: Berlin 1968. Eine andere Perspektive, Berlin 2008, S. 108.

[9] Ebd.

[10] Matussek/Oehmke: Die Tage der Kommune, S. 146.

[11] Ebd.

[12] Ebd.

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