Ein Interview mit Ilse Günther
Ilse Günther (65) war 19 Jahre alt, als sie von zu Hause davonlief. Sie floh vor ihrem autoritären Elternhaus. Der Vater war bei der Bundeswehr. Der Militärjargon und die damit einhergehenden Umgangsformen waren auch zu Hause bestimmend. Ungefähr sechs Wochen wohnte sie in der Kommune 1, von Anfang Juli bis Ende August 1969. Die K1 lebte in dieser Zeit in einem alten Fabrikgebäude in der Stephanstraße 60 in Moabit. Ilse Günther beschreibt diese Wochen im Gespräch mit Lukas Wieczorek als eine spannende und aufregende Zeit.
Wie kam es dazu, dass Sie in die Kommune 1 einzogen?
Das war eher zufällig. Nachdem ich von meinem Elternhaus in Würzburg weggelaufen bin, wollte ich eigentlich nach München. Ich kam zunächst bei einer Bekannten in Nürnberg unter. Bei ihr hielt sich zu der Zeit auch ein Typ namens Alfons auf, der einen Prozess wegen eines Rauschgiftdeliktes in Nürnberg hatte. Dieser Alfons lebte in der Kommune 1 und fragte mich, ob ich nicht mit ihm nach Berlin mitkommen möchte. Ich könne in die Kommune einziehen. So flog ich mit ihm kurz darauf nach Berlin.
Die K1 war zu dieser Zeit ja medial sehr präsent. Hatten Sie eine bestimmte Motivation dort einzuziehen?
Ich hatte im Spiegel schon Artikel dazu gelesen und mich damit beschäftigt. Ich fand es sehr spannend, dass junge Menschen auf eine völlig andere Art zusammenlebten und sich von den bürgerlichen Elternhäusern distanzierten. Alfons erzählte mir, dass auch andere junge Leute, die von zu Hause weggelaufen waren, dort wohnten. Die Voraussetzungen waren für mich ganz gut, daher hatte ich mich entschieden, mitzukommen. Eine bestimmte Motivation allerdings, zum Beispiel eine politische, hatte ich nicht.
Wie gestaltete sich das Leben in der Kommune?
Als ich dort einzog war das ja schon das Auslaufmodell der Kommune. Es gab dort ein riesiges Matratzenlager. Damals lebte ein fester Stamm von vielleicht 10 bis 12 Leuten dort: Uschi Obermaier und Rainer Langhans natürlich, Holger Meins und noch einige mehr. Jedenfalls lebten da einige Leute zusammen, die aus unterschiedlichen Gründen dort eingezogen sind und eigentlich alle auf ihrem eigenen Ego-Trip waren. Ich nehme mich da selbst nicht raus. Politik war eigentlich kaum noch ein Thema. Kunzelmann war ja auch nicht mehr da. Als ich einmal eine Mao-Bibel zur Hand nahm, die dort herumstand, riss jemand sie mir aus der Hand und meinte nur: „Lies das nicht, damit versaust du dich nur.“ Es ging viel um Drogen. Ich bin da auch ein bisschen reingerutscht, wobei ich das jetzt nicht so negativ sehe. Es war auf eine gewisse Weise auch ein Erlebnis, dass ich nicht missen möchte. Wir haben im Grunde in den Tag hineingelebt. Lange geschlafen, nach dem Aufstehen gleich einen Joint geraucht, den ganzen Tag eigentlich verschlafen. Zwischendurch sind wir rausgegangen um etwas zu Essen zu besorgen.
Sie sagten Drogen spielten eine wichtige Rolle…
Ja, es wurden jeden Tag Drogen konsumiert. LSD, Mescalin, Speed, einige spritzten auch Heroin. Damals wollte ich Heroin auch ausprobieren, habe es aber zum Glück nicht getan. Ich kenne viele, die nicht mehr davon losgekommen sind. Ein enger Freund von mir hat sich mit HIV infiziert und ist dann auch an AIDS gestorben.
Was haben Sie ausprobiert und wie waren Ihre Erfahrungen mit Drogen?
Ich habe viel gekifft, jeden Tag eigentlich, auch noch nach meiner Zeit in der Kommune. Später nahm ich auch eine Zeit lang Schlaftabletten. Während meiner Zeit in der K1 probierte ich LSD, Mescalin und Speed aus. Besondere Erinnerungen habe ich vor allem an LSD und Mescalin. LSD habe ich dabei in sehr guter Erinnerung. Ich fühlte mich drei Tage lang total aufgeputscht und euphorisch. Ob das tatsächlich drei Tage waren, weiß ich allerdings nicht. Ich weiß noch, dass in dem Haus eine Orgel stand und ich auf dem Trip Orgel gespielt habe. Ich hatte das Gefühl, super Orgel spielen zu können. Später erzählten mir die Mitbewohner allerdings, dass es sich schrecklich angehört habe. Auch der Sex auf LSD war ein besonderes Erlebnis. Auf Droge kann man sich einfach fallen lassen. Mescalin dagegen war ein Horrortrip. Ich bekam Angstzustände, saß in der Ecke und sah lauter Schatten die Wände hochkommen.
Um die K1 ranken sich ja zahlreiche Mythen, besonders hinsichtlich des Themas Sex. War der Umgang damit tatsächlich so offen, wie oft behauptet?
Als ich in die Kommune eingezogen bin, war ich die einzige Jungfrau dort. Ich habe sofort die Pille in die Hand gedrückt bekommen. Für mich war es einerseits die totale Befreiung. Der Spruch „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“ hatte auch so seine Gültigkeit. Auch ich hatte einige verschiedene Sexualpartner. Andererseits hatte das wiederum auch etwas Zwanghaftes. Man stand unter dem Druck, ständig den Sexualpartner wechseln zu müssen. Genauso empfand ich es mit der Privatsphäre. Alles spielte sich auf dem Matratzenlager ab und jeder hat es mitbekommen, wenn man Sex hatte.
Welche Rolle spielten Musik und Feierkultur in der Kommune?
Musik, Drogen, Sex, das hängt ja alles zusammen. Musik lief dort den ganzen Tag. Velvet Underground, Jimi Hendrix, Led Zeppelin, Amon Düül und dazu haben wir gekifft und Trips eingeschmissen.
Ging man auch aus der Kommune raus zum Feiern? Zum Beispiel in Kneipen, auf Konzerte oder ähnliches.
Wir sind auf Demos gegangen. Das waren unsere Partys. Manchmal wusste ich nicht einmal, um was es auf dieser Demo ging, aber es war aufregend und hat Spaß gemacht. Ansonsten waren wir öfter in Teestuben. Das kann man sich als komplett abgedunkelte Kifferhöhlen vorstellen. Überall lagen Matratzen rum, die Leute lagen darauf, haben gekifft und andere Drogen genommen, miteinander geknutscht und sonstiges… Dazu trank man Tee. Alkohol spielte eigentlich überhaupt keine Rolle. Das war in dieser Szene ja verpöhnt. Ich selbst habe, glaube ich, erst mit Mitte 20 zum ersten Mal Alkohol getrunken.
Wie bewerten Sie heute Ihre Zeit in der Kommune 1?
Einerseits war es eine Befreiung von den Zwängen des bürgerlichen Elternhauses. Es war ja das komplette Gegenteil von dem, was ich dort erlebt habe. Andererseits war auch die Kommune gewissermaßen autoritär und man war Zwängen unterworfen. Man hat sich dort genauso angepasst, wie man es zu Hause getan hat. Allerdings waren das Zwänge, denen man sich selbst unterworfen hat, anstatt sie von außen aufgedrückt zu bekommen. Somit war es für mich persönlich die totale Befreiung. Die Erfahrungen, die ich dort persönlich sammeln konnte, bleiben mir daher positiv in Erinnerung. Als negativen Punkt betrachte ich jedoch, dass die K1 in der Zeit, in der ich dort war, nie eine Gemeinschaft darstellte. Jeder war auf seinem Ego-Trip, niemand kümmerte sich um den anderen, niemand fühlte sich für irgendetwas verantwortlich.
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